Der Honigmann
Ob nicht auch der Besuch eines Honigmuseums interessant sei, wurden die Gäste aus
Deutschland gefragt. Das ist doch auch eine Erholung in der Natur nach den Klöstern, Kirchen
und Museen. Die beiden Gäste aus Neuss waren einverstanden, setzten sich entspannt ins Auto,
und los ging es aus der Stadt hinaus übers Land, bis die Straße nur noch durch dichten Wald
führte. Wir hatten schon einige Versuche hinter uns, rechts oder links auf kleinen Straßen
das Museum zu finden. Leider steckte unser Wagen immer wieder in einer Sackgasse. Also
zurück auf die Hauptstraße und weiter suchen. Uns beschlich der Gedanke: Bei diesem Ausflug
ist der Weg das Ziel. Aber dann doch! Rechts ab und da sahen wir das lang gesuchte
Honigmuseum. Die Gebrüder Grimm hätten ihre Freude gehabt. Eine Waldlichtung, ein Bauernhaus,
eine Scheune. Aber sie entpuppte sich als das Besucherzentrum oder - besser gesagt - als der
Verkaufsraum für Honigprodukte. Nein, das erinnerte nicht mehr an die Grimmschen Märchen.
Wir wurden vom Chef-Imker begrüßt, der mittlerweile herangeschlendert kam. Aber weit
gefehlt, dass er uns nun in die Kunst des Honigmachens einführte. Nein, er führte uns entlang
an langen, hohen Holzwänden, an die Dutzende Werkzeuge genagelt waren, die man braucht, um im
Wald zu überleben. Das wurde uns klar, schauten wir doch in wenigen Metern auf den Wald, der
dunkel und bedrohlich zu uns herüberschaute. Als wir Vier angesichts von Äxten, Sicheln,
Sägen und Co allmählich unaufmerksamer wurden, zog der Honigmann die Angstkarte. Wie nebenbei
hob er einen Knochenschädel aus dem Gras und fragte ernst, wer wohl einst zu diesem Schädel
gehört haben mochte. Unsere Aufmerksamkeit war wieder geweckt. Und wir rückten enger
zusammen, als er das Rätsel löste. Das sei der Schädel eines Bären von dahinten. Seine Hand
wies unmissverständlich auf den Waldrand. Nun wussten wir Bescheid, wo wir waren. Die
Gerätschaften schritten wir rascher ab und ließen uns das Honigmachen wohl oder übel noch in
der freien Natur erklären, immer mit dem Blick auf Waldrand und erlösender Besucher-Scheune.
Blick auf Waldrand und erlösender Besucher-Scheune. Endlich in dem wohnlich warmen Raum gaben
wir uns dem Genuss von Honig und seinen Ablegern hin. Man wäre nicht in Russland, bekäme man
den Honig nicht in verschiedensten Varianten mit Alkohol versetzt. Met war da noch das
schlichteste Gebräu. In kleinen Bechern waren die Köstlichkeiten vor uns aufgereiht. Und
unser Honigmann wäre kein russischer Gastgeber, wenn er nicht beruhigend sagte, dass
selbstverständlich nachgefüllt werden kann. Nach der ersten Runde trauten wir Vier uns nicht
so recht nachzufüllen. Doch Rat war zur Stelle. Der Gastgeber sang lauthals Liedchen, die
animieren sollten. Unsere Freundinnen übersetzten zögerlich, schmunzelten vielsagend, und
wir Deutschen verstanden. Die zweite Runde wurde eingeschenkt und das Verkaufsgespräch konnte
beginnen. Vier oder mehr Sorten Honig - so richtig schauten wir nicht mehr durch - Propolis
und so weiter, und so weiter wurden angeboten und auch gekauft. Wir Gäste dachten nicht mehr
an das Fluggepäck. Und zum guten Schluss wehrten wir noch den Versuch des Honigmannes ab,
Adresse und Telefon unserer jüngsten Begleiterin herauszufinden. Eine dritte Runde gab es
nicht. Wir zahlten, dankten und fuhren los. Übrigens: Bären begegneten uns auf dem Heimweg
nicht.
Text: Dr. D. Weißenborn