Pskower Ikonen Part 2
Für uns im Westen Europas ist eine Ikone eine Zumutung, so das Urteil eines befreundeten
orthodoxen Priesters. In Osteuropa sind Ikonen die legitime Darstellung biblischer Gestalten.
Beispielsweise Christus oder die Mutter Gottes werden in den Ikonen nach festen Regeln gemalt;
die Russen sagen "geschrieben". Die reichen Jahrhunderte zurück nach Byzanz - später
Konstantinopel, heute Istanbul. Diese strengen Vorschriften lagen den meist geistlichen
Ikonenmalern schriftlich vor. Danach mussten sie sich richten, Priester urteilten streng, ob
eine Ikone gelungen war oder nicht. Erst wenn sie zu einem Ja kamen, wurde die Ikone geweiht.
Sie wurde zu einem Bestandteil der Liturgie im orthodoxen Gottesdienst.
Im Westen Europas dagegen waren die Gläubigen an lebensnahe Darstellungen der biblischen
Gestalten gewöhnt. Nicht selten nahmen sich die Maler Gesichter und Gestalten aus ihrem Alltag
zum Modell. Die Ikone in ihrer Ausführung also eine Zumutung für uns Westler? Ja, wenn wir an
individuelle Antlitze in religiösen Bildern gewöhnt sind, dann wirken festgelegte Formen fremd
auf uns. Für den orthodoxen Osteuropäer sind individuelle Züge in einer Ikone nicht möglich.
Die Ikone ist ein Tor ins Jenseits. Nicht selten dient der goldene Hintergrund diesem Zweck.
Griechen waren in der Mehrzahl die Ikonenmaler. Sie arbeiteten in Byzanz und weiteten ihre
Tätigkeit von dort nach Norden aus, denn die slawischen Herrscher hatten sich, bisher Heiden,
für das orthodoxe Christentum entschieden und luden die griechischen Maler ein.
In Kiew, der Hauptstadt der sog. Kiewer Rus - der Keimzelle Russlands - fassten sie Fuß und
wanderten weiter nach Norden in Fürstentümer wie Novgorod. Nicht weit von diesem Zentrum im
Nordwesten Russlands liegt Pskow, unsere russische Partnerstadt, Oft wird sie als die kleine
Schwester von Novgorod bezeichnet. Nicht selten wurde Pskow, diese Grenzstadt im Westen
Russlands, von den sog. Lateinern, den Katholiken, den Nicht-Orthodoxen überfallen. Tapfer
trotzten die Pskower diesen Übergriffen. Man stand treu zu seinem orthodoxen Glauben. Noch
heute gilt Pskow als unerschütterliches Bollwerk des orthodoxen Glaubens, den die Russen als
den rechtgläubigen bezeichnen im Gegensatz zu Katholizismus und Protestantismus. In den
Pskower Kirchen und Klöstern waren, wie überall, die Ikonen fester Bestandteil der Ausstattung
des Kirchenraumes. Und: Es entwickelte sich eine eigenständige Pskower Ikonen-Malschule.
Trotzig wie der wehrhafte Glaube kamen auch die Pskower Ikonen daher. Natürlich waren auch
die Pskower Maler den strengen Regeln unterworfen.
Trotzdem zeigten sich ihre biblischen Gestalten robust, dynamisch und ausdrucksvoll in der
Farbigkeit.
Russische Kunsthistoriker erkannten erst recht spät den eigenständigen Charakter der Pskower
Ikonen. Das war in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Heutzutage
gibt es keinen Zweifel mehr an der Eigenständigkeit der Pskower Schule. Ihre Zeit lässt sich
recht genau eingrenzen. Sie reicht vom 12. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts. 1510 geriet
Pskow unter die Herrschaft Moskaus, das sich zum Zentrum Russlands entwickelt hatte. Die
besetzten Fürstentümer verloren ihre politische und künstlerische Selbstständigkeit.
Zwei Ikonen sollen vorgestellt werden, die charakteristisch sind für die Pskower
Ikonen-Malschule: Höllenfahrt mit auserwählten Heiligen (Ende 15. Jahrhundert) und
Gottesmutter der Rührung aus Ljubjatowo (erste Hälfte 15.Jahrhundert).
Typisch für Pskow: Das Dogma der Auferstehung wird sehr anschaulich mit einer Vielzahl von Figuren illustriert. In der Deesis-Gruppe steht Nikolaus im Zentrum. Engel nehmen Satan gefangen und geißeln ihn. geharnischte Engel stehen am Gipfel der Mandorla. Die Hölle ist eine Stadt mit Festungstürmen. Die Gesichter sind konzentriert und gespannt, z.B. Verzweiflung und Hoffnung auf Errettung in Evas Gesicht.
Typisch für Pskow: Flächige Malerei mit klaren Umrissen. Nachdenkliche Gestalten in warmen Farbtönen: orangerot, kirschrot, gelb, blau. Gelängtes Gesicht der Gottesmutter mit gerundeter Nasenspitze.
Dr. D. Weißenborn, Januar 2015